![]() |
Heilpädagogisches Arbeiten mit Pferden/ Heilpädagogisches Reiten |
Ein Erfahrungsraum `unter uns´ ohne Mädchen
Junge zu sein bedeutet die beständige Anforderung sich an dem messen zu lassen, was diese Gesellschaft so alles als mannhaft definiert. Zwischen ´cool sein´ und ´großer Klappe´ ist es schwer für die Jungen, eine Persönlichkeit aus den eigenen Bedürfnissen und Interessen heraus zu entwickeln. Jungenarbeit soll Räume schaffen, in denen ein anderer Umgang mit dem Thema Männlichkeit kennengelernt werden kann, in denen den Jungen Mut gemacht wird, einen eigenen Weg zu finden. Ein Weg, der zu ihnen paßt und nicht zur Camel Werbung.
Jungenarbeit mit Pferden
In einer Mädchen-Domäne Jungenarbeit machen?!
Im Freizeitbereich sind die Pferde eine klassische Domäne der Mädchen. Ein an Pferden interessierter Junge hat es in einem Reitstall sehr schwer. Er wird von seinen Kumpels zu hören bekommen, daß es ´Mädchenkram´ sei und die Mädchen werden ihn wahrscheinlich auch nicht ernst nehmen. Dabei bietet der Umgang mit Pferden natürlich auch den Jungen jede Menge Spaß und einen fruchtbaren Erfahrungsraum:
Sich ausprobieren, seine Grenzen erforschen, Ängste artikulieren
Jeder Junge kann in den Vorbesprechungen seine Wünsche formulieren. Was er gerne ausprobieren möchte, was ihm zu unsicher erscheint oder Angst macht. Dabei gibt es oftmals Jungs, die ‚sowieso vor nichts Angst haben’ und später mit und auf dem Pferd die Erfahrung machen, daß sie sich zu viel zugetraut haben. Vielleicht ist es ihnen dann im Schritt schon zu wackelig und sie merken, daß es bei der Frage "Wer möchte galoppieren?" besser ist, ehrlich in sich hineinzuhorchen, um möglicherweise mit einem ´ Nein ´ oder ´ Ja aber ´ zu antworten. Oder sie spüren erst während der schnelleren Gangart, daß sie sich zuviel zugetraut haben, wenn sie die Kontrolle über den Sitz verlieren und drohen, runterzurutschen. Das ist eine wichtige Erfahrung: Ich habe mir beinahe zuviel zugetraut; schneller darf es nicht sein, aber ich habe es geschafft ohne runterzufallen.
Andere Jungs machen wiederum die Erfahrung, daß alles ‚gar nicht so schlimm und schwierig ist’ auf dem Pferd, auch wenn es mal schneller läuft und sie sich durchaus etwas zutrauen können.
Alle können lernen, die eigenen Grenzen und Möglichkeiten besser einzuschätzen.
Rangordnung und Dominanz
Das beginnt bereits beim Führen des Pferdes am Strick, z.B. vom Anbinder zum Reitplatz und ist gar nicht so einfach und mal eben so zu verwirklichen.
Pferde haben einen bestimmten Rang in ihrer Herde, je nachdem, welches Wesen sie haben. In der Herde wird gedroht, die Ohren angelegt, gedrängelt, getreten und gebissen. Im Umgang mit dem Menschen sind unsere Pferde freundlich und vorsichtig. Sie haben in ihrer Ausbildung gelernt, daß wir ranghöher sind und damit ‚das Sagen’ haben. Dennoch testen sie immer mal wieder, ob es noch gilt. Insbesondere bei den Menschen, die sie noch nicht kennen. Das ist erstmal nicht gefährlich, aber kann dazu führen, daß das Pferd den Weg und die Pausen bestimmt und der Mensch mehr oder weniger ´dranhängt´. Um das zu vermeiden, ist es wichtig, auf eine für das Pferd klare Art und Weise die Führung zu übernehmen, Grenzen zu setzen. Das erfordert Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ein Ziel ist es, dieses Vertrauen zu entwickeln oder zu verstärken. Wenn die Beziehung zwischen Reiter und Pferd klappt, ist es eine tolle Erfahrung und bestärkt nicht nur im Umgang mit Pferden, sondern auch mit Menschen.
... als Selbstverständlichkeit erleben, unabhängig davon, ob es als typisches "Mädchenhobby" gilt. Ein Pferd zu putzen, die Hufe auszukratzen, es zu füttern und tränken kann richtig Spaß machen und mann lernt dabei das Pferd besser kennen. Für Jungen ist das oftmals eine ganz neue Erfahrung.
Freiheit, Abenteuer und Natur
Der Umgang mit Pferden bietet, wenn mann möchte, tatsächlich Erlebnisse dieser Art : Sich durch die Kraft eines Tieres in der Natur fortzubewegen, im Galopp dahinzufliegen, die Bewegungen des Pferdes und des eigenen Körpers zu spüren, jedem Wetter ausgesetzt zu sein, neben den kauenden Pferden am Lagerfeuer zu sitzen...
Grenzen überschreiten – Grenzen wahrnehmen
"Du bist mir zu nahe, rück´ mir von der Pelle". Dieses Thema läßt sich ohne verletzte Eitelkeit und Streit nur schwer angehen. Im Umgang mit Pferden läßt es sich leichter thematisieren : Jedes Pferd hat seinen Individualabstand. Wird er unterschritten, indem ein Junge ein Pferd z.B. unentwegt am Kopf streichelt, zeigt es sein Unbehagen. Es dreht sich weg, legt die Ohren an, wird unruhig...
An solchen Erfahrungen kann mann auch Sensibilität im Umgang mit seinen Mitmenschen entwickeln. Jeder Mensch hat seine besonderen Grenzen. Jeder ist gefordert - sowie es auch die Pferden machen - zu signalisieren, daß etwas zu weit geht. Und jeder ist gefordert bei seinem Gegenüber genau darauf zu achten, ob mann vielleicht zu weit gegangen ist.
Ich habe Grenzen, die mir wichtig sind.
Andere haben Grenzen, die ich wahrnehmen und akzeptieren muß.
Das Pferd trägt den Reiter; es arbeitet für ihn. Der Mensch muß dafür sorgen, daß es durch das Reiten keinen Schaden nimmt : nach einem Ritt muß zuerst dem Pferd Wasser zur Verfügung gestellt werden (auch wenn der eigene Durst groß ist); es müssen die Hufe kontrolliert werden; es muß dem Pferd gegebenenfalls eine Abschwitzdecke übergezogen werden...
Es ist aber auch Verantwortung für den Partner zu übernehmen, z.B. wenn sich die Jungen gegenseitig im Gelände führen
Jeder Junge bekommt sein festes Pferd. Es sollte von seinem Wesen her zu ihm passen oder ihn
herausfordern. Ein eher ängstlicher Junge bekommt ein eher zurückhaltenderes Pferd. Ein distanz-
loser oder ruppiger Junge bekommt ein Pferd, daß seine Grenzen zu wahren weiß... Ziel ist, daß
beide – Junge und Pferd - eine fruchtbare Beziehung eingehen. Daß das Pferd nicht nur als
Sportgerät betrachtet, sondern als wertzuschätzende Persönlichkeit erkannt und gemocht wird.