Regina Gerte |
Ragna war mein erstes Pferd und es war Liebe auf dem ersten Blick. Beim ersten Probereiten ging sie mit mir durch und dem folgten später doch einige 100 male - in der Halle, im Gelände. Den E-Springparcours verwechselte sie regelmäßig mit einem Hindernis-Rennen und nicht nur auf dem ersten Blick konnte man mein Halbblut mit einem Vollblut verwechseln. Meine Freundin Charlotte, mit der ich damals zusammen auf Pferdesuche war, meinte da nur: "Entweder, ihr beide rauft euch zusammen, oder du brichst dir mit der den Hals!". Nun, wir rauften uns zusammen. Oh, jetzt noch ein Fohlen von ihr war mein größter Wunsch - nur leider nicht ihrer. Mein Traum war ein Schecken-Fohlen von ihr, sie aber mochte damals keine Schecken. Zuerst schaffte sie es in akrobatischer Weise, den armen Deckhengst (Nitron, von Nekoma) fast zusammen zuschlagen. Später, bei der künstlichen Besamung (Sambuco), war der arme Tierarzt dran. Nun, ich gab meinen Traum auf. Fast zeitgleich kam unser Hofbesitzer auf mich zu, er habe etwas für mich gefunden (obwohl ich eigentlich gar nicht gesucht hatte...). Ein Bekannter von ihm habe ein Schecken-Fohlen bei einem Bauern entdeckt. Er war erst interessiert, jedoch habe das Fohlen keine Papiere. Die Mutter (bei dem es mit 18 Monaten (!) noch stand), war eine Vollblut-Araberstute, der Papa war unbekannt. Es sei ein "geplanter Weideunfall" gewesen, aber niemand in der Familie habe noch Interesse an den Pferden. Also sollten beide weg.
Nun, ich sagte zu, mir das Tierchen mal anzusehen. Der Bauernhof befand sich nahe am Flughafen Lippstadt/Paderborn, direkt in der Einflugschneise.
Ich sah - sie kam - und siegte!
Es war wieder einmal Liebe auf dem ersten Blick, das Unvernünftigste, was ein zukünftiger Käufer machen kann. Selbstbewusst und rotzfrech trabte dieser Satz Rippen auf vier Stelzen auf mich zu, spielte arrogant mit den Ohren und inspizierte mich von oben bis unten.
Schön ? Nein, schön im Sinne von edel und harmonisch war sie wirklich nicht ! Wie gesagt, jede Rippe zählbar, die Vorderbeine viel kürzer als die Hinterbeine, Mähne und Schweif zottelig. Das einzige, was bei ihr unter interessant laufen konnte, war die Zeichnung. Ein Fuchsschecke mit einem schönen braunen Kopf, einer gleichmäßigen breiten Blesse mit einem kleinen, schwarzen Fleck auf den Nüstern. Und ihr Blick ! Einfach zum Dahinschmelzen !
Bereits am nächsten Tag kam der Einzug in den heimischen Stall. Und jetzt fing das Spielchen erst an. Natürlich konnte sie gar nichts, weder Hufe geben noch war sie halfterführig. Der Vorbesitzer hat ja überhaupt nichts mit ihr geübt. Fast täglich schoss etwas kleines, buntes "Pferdeähnliches" mit gespitzten Ohren und einer heulenden Strickverlängerung als Anker hinter sich herschleppend (nämlich MICH) über den Hof. "Oh je, oh je, was hast du dir da angetan!" dachte ich mehr als einmal. Und am Hof gab es ebenfalls abfällige Kommentare, direkt oder im Reiterstübchen. Wie unser armer Hofbesitzer mir DAS habe antun können, so ein hässliches, kleines Vieh. Die hätte er mir besser nie gezeigt. Und dafür noch so viel Geld ! Nicht nur aufgrund meines damaligen beruflichen Zeitmangels wurde das kleine Etwas erst einmal zwei Jahre mit Gleichaltrigen auf die Fohlenweide verfrachtet. Mit knapp 4 Jahren fing dann der Ernst des Lebens für sie an. Ich selbst traute es mir nicht zu, ein Pferd einzureiten, das tat dann doch ein professioneller, junger Mann bei uns am Hof. Dieser hat das aber so weich und sanft gemacht. Ich konnte nicht immer dabei sein, aber ich hatte genug "Spione" und Zuschauer. Sie sei sehr lieb gewesen und hätte nie gezickt, huch !
Seitdem sind jetzt 4 Jahre vergangen. Man mag es nicht glauben, aber ich bin schon mehr als einmal am Stall angesprochen worden, ob ich das kleine Wunder nicht verkaufen möchte. Sie sei doch soooo süß ! Das kleine hässliche Entlein ist ein kleiner, feiner Schwan geworden.
Die Überbauung ist nur noch minimal, die Vorderbeine sind also doch noch ein wenig länger geworden. Meine "Serina" (nach einer tapferen Kriegerin aus einem Science-Fiction-Roman) ist im Umgang das (kinder-)liebste Tier, das man sich vorstellen kann. Sie geht brav (wenn auch manchmal gelangweilt) ihre Dressur-Lektionen, aber Springen ist ihr Lebensinhalt. Wer hätte gedacht, dass sie mit diesen doch kurzen Beinchen (sie hat jetzt einen Stockmaß von 1,55 cm) jede Kurve und jeden Oxer mit gespitzten Ohren und Feuer in den Augen nimmt.
Bei einem "Freispringen-Tunier" erhielt sie mit eleganten Sätzen die Wertnote 7,4 und damit den zweiten Platz (am Ende der Vorstellung mussten wir sie mit sanfter Gewalt von den Hindernissen wegschieben, denn: SIE wollte weitermachen!). Neuerdings kommen kleinere Erfolge im E- und A-Parcours dazu.
Am Halfter trottet sie jetzt wie ein Lämmchen neben einem her, während mein ausgekochtes Halbblut-Fräulein (heute 23 Jahre) jede Ameise auf dem Weg zur Weide als Monster betrachtet. Unser kleiner Araber-Mix ist nervenstark (kein Wunder, bei dem Flugverkehr in ihrer Jugend) und neugierig. Alles Unbekannte wird erst einmal angeknabbert oder abgeleckt (wie leider auch das schöne rote Auto meines Freundes), dann wird entschieden, ob es lohnt, sich darüber aufzuregen. Sie sieht nur immer "furchterregend" aus, wenn sie auf Leckerlie-Pirsch ist. Dann werden die Ohren bis zum Hals angelegt und hartnäckig mit dem Vorderbein gebettelt. Wir haben sie verwöhnt - aber das mit Liebe!
Die einzige Person, die sie bis heute nicht mag, ist der arme Tierarzt. Immer wenn der kommt, piekst es! Dann wird sie zur Furie und sie hat einen guten Radius mit allen vier Beinen, die Treffer sitzen immer! Unser Schmied ist dagegen mit seiner Bestechungstaktik erfolgreicher.
Mein altes Mädchen Ragna wird seit 3 Jahren aufgrund von Athrose nicht mehr geritten. Sie mag aber seit einigen Jahren plötzlich Schecken, denn sie hat ja ein Scheckenstütchen adoptiert und das Geschrei ist jedes Mal groß, wenn man IHR Baby zum Arbeiten aus der Box entführt.