Die optimale Haltung für das Distanzpferd: Andrea Stercken
Offenstall (Höhenrain) versus Box/Paddock (Iffeldorf)
Das Thema ist alt und doch immer wieder neu: Wie sieht die optimale Haltung von
Pferden aus, und da speziell der Pferde, die auf die lange Strecke - in Form von Distanz- oder Wanderritten - gehen? Daß gerade vierbeinige Marathonläufer mit der üblichen Boxenhaltung schlecht bedient sind, steht außer Frage; stellt doch der Wechsel zwischen stundenlangem Reiten und stundenlangem Stehen in der Box einen zu großen Gegensatz dar. Am Beispiel eines Offenstalls und einer neu erbauten Reitanlage, deren Boxen mit angeschlossenen Paddocks ausgestattet sind, soll erläutert werden, was der Natur dieser Langstreckenläufer am nächsten kommt.
Das Distanz- und Wanderreitpferd legt nach entsprechendem Training oft 60 bis 160km an einem Tag zurück, eine Meisterleistung, die eine entsprechende, artgerechte Haltung zwingend erfordert. Bei einem Wanderritt von beispielsweise 240km auf vier Tage verteilt, ist das Pferd den ganzen Tag mit mehreren Pausen in Bewegung, um circa 60 km zurückzulegen. Knochen, Sehnen, Gelenke und Muskulatur werden gefordert, teilweise strapaziert, doch durch gezielte Gymnastik ist das Pferd in der Lage, diese Belastungen unbeschadet zu überstehen. Da liegt es nahe, ein solches Lauftier nach getaner Arbeit nicht in der Box zu verstauen, in der es auf einem Radius von 12qm nicht in der Lage ist, sich weiter zu bewegen, zu entspannen, sich zu wälzen und sozialen Kontakt zu Artgenossen zu pflegen.
Im Gegenteil: um solche Leistungen zu vollbringen, muß das Pferd auch in der "Freizeit" die Möglichkeit haben, sich schrittweise über die Koppel/den Auslauf zu bewegen, um den Körper und die Seele selbständig in Schuß zu halten. Auch übermütige Buckler müssen mal möglich sein und halten das Pferd bei Laune. Und das nicht allein im Sommer, sondern das ganze Jahr über. Die Pferde sind dann nicht nur durchtrainierter und ersparen dem Reiter einen Teil des Trainings, sondern werden zunehmend auch ausgeglichener und zufriedener, was ja letztendlich wieder zum Erfolg bei langen Ritten beiträgt.
Der Offenstall
Der Offenstall der Familie Nachtmann, den wir hier vorstellen, ist malerisch gelegen nahe einem kleinen Örtchen namens Höhenrain zwischen dem Starnberger See/Bayern und den Isar-Auen und bietet schönes Ausreitgelände beinah rings um den See. Der Hauptstall liegt an einer kleinen Einbahnstraße und bietet circa 15 Pferden Unterkunft. Der Nebenstall, um den es in diesem Bericht geht, liegt etwa 2 km südlich davon in der sogenannten "Ewigkeit", so bezeichnet, da sich hier im wahrsten Sinne Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Zwar befindet sich die BAB Garmisch in unmittelbarer Nähe, doch stört sie das Geschehen rund um den Stall
nicht im geringsten, da sie weder sicht- noch hörbar ist.
Dieser Stall in der Ewigkeit ist in zwei separate Trakte unterteilt; in einem stehen vorwiegend Stuten mit ihren Fohlen (insgesamt 6 Pferde). Im anderen Stalltrakt stehen in einem separaten Bereich ein Vollblutaraber und ein Haflinger sowie drei weitere Pferde im direkt angrenzenden Liegebereich. Der Vollblutaraber "El Karim Khan" läuft seit drei Jahren regelmäßig Distanzen mit, hat super Pulswerte, auch nach extremen Anstrengungen, ist vom Typ her aber eher faul.
Der Grundriß macht die Funktionsweise dieses Offenstalls deutlich: Die Pferde haben einen Ruhe- und Liegeplatz, der trocken und windgeschützt ist und im Frühjahr, Sommer und Herbst freien Zugang zur Koppel und - um die Gehlust anzuregen - zum weiter entfernt stehenden Tränkewagen. Im Winter können sie auf den mit Beton befestigten Auslauf und von dort zum unbefestigten Auslauf (Matschpaddock). Das heißt, sie haben ständig zu tun und daher Abwechslung, haben ein gewachsenes Sozialgefüge und sind viel in Bewegung. Ideale Basis-Bedingung also, um das Pferd für Distanzritte zu trainieren, denn einem so gehaltenen Pferd fällt das viele Laufen naturgemäß leicht, da es ohnehin immer in Bewegung ist. Und der Reiter kann von einer Grundkondition des Pferdes ausgehen, die Boxenpferde gar nicht haben können.
Khan beispielsweise wird in der Saison nach folgendem Schema trainiert, das allerdings nur eine grobe Marschroute festlegen kann. 4x wöchentlich wird im Gelände geritten, dabei drei kurze (bis zu 20km), eine längere Distanz (bis zu 50km), 1 Tag darf er sich ausschließlich auf der Weide tummeln, 1 Tag wird er longiert oder als Konderreitpferd genutzt und 1 Tag jeweils 1 bis 1,5 Stunden auf dem am Hauptstall liegenden Reitplatz gymnastiziert. Dieses Training gilt für Distanz-Turniere bis 60km. Daraus ergibt sich eine wöchentliche Reitzeit von circa 14 Stunden. Ein Aufwand, der sich also in Grenzen hält.
Das Heu wird in einer eigens in der Box installierten Raufe angeboten, die so tief liegt, daß die Pferde artgerecht mit gesenktem Hals und Kopf fressen können
.
Offenstall: Nachteile:
Pferde bekommen vom Besitzer nur 1 x Kraftfutter, weil der Stall zu weit weg ist; außerdem ist die
individuelle Fütterung aufwendiger.
Pferde sind oft schmutzig und/oder naß, daher nicht immer verfügbar.
Extreme Vorsicht nach Ausritten im Winter ist geboten, damit die Pferde nicht naß auf die Koppel kommen.
Keine Halle vorhanden: Damit können voll Berufstätige an den kurzen Wintertagen nur dann reiten, wenn
beleuchtete Reitplätze zur Verfügung stehen; sonst reduziert sich das Reiten aufs Wochenende.
Das Reiten erfolgt rein autodidaktisch, ohne Lehrer
Pferde bekommen ein sehr dickes Winterfell
Vorteile:
Vor dem Reiten ist nur eine kurze Aufwärmphase erforderlich.
Dem Pferd schadet ein eingelegter Ruhetag nicht.
Pferde sind immer in Bewegung und haben so eine gute Grundkondition
Pferde sind ausgeglichen, zufrieden, gesund, umgänglich.
Die Haltung der so untergebrachten Pferde ist - im Vergleich zu anderen Unterbringungsmöglichkeiten -
finanziell günstiger.
Geringerer Arbeitsaufwand als bei Boxenhaltung.
Der Boxen/Paddock-Stall im Reitstall-Verbund
Die neuerbaute Reitanlage der Familie Pankratz liegt mitten im Idyll der Osterseen, nahe dem
Starnberger See, oder anders gesagt, im Land der Fünf Seen. Der Stall ist nach einem
ausgeklügelten System erbaut, nämlich so, daß durch Belüftungsschlitze unterhalb des Firsts
ständig für gute Luft in den Boxen gesorgt ist (die sogenannte Trauf-First-Lüftung). Zugleich ist
der Stalltrakt sehr hell (durch Fensterreihen links und rechts an den Boxen und den Dachfirst
aus Plexiglas), so daß tagsüber auf Licht verzichtet werden kann. Alle Fenster der Boxen sind
nach außen aufklappbar. Die Reitanlage Pankratz ist im Stil von Gut Gerlinden bei
Fürstenfeldbruck erbaut, ein Gut, das bereits mit dem ersten Preis des FN-Wettbewerbs für
"Zeitgemäße Reitanlagen" ausgezeichnet wurde.
Die Reitanlage beherbergt 21 Pferde jeglicher Rasse, bietet Boxen (3x4m) - jeweils 10 einander
gegenüberliegend - mit angrenzenden Paddocks (3x8m) , eine kleine Reithalle (17x30m), einen
Longierplatz, einen Außenplatz (20x40m) und ein herrliches Ausreitgelände. Die Paddocks sind
mit Rasenkammersteinen und darüberliegendenm Schotter trittfest gemacht.
Die Pferde werden im Winter dreimal täglich mit Kraftfutter (Hafer/Pellets) gefüttert, in der
Koppelsaison nur morgens und abends.
Im Winter kommen die Pferde täglich auf die Paddocks, wobei morgens die Paddock-Türen der
einen Seite, also die von 10 Boxen, offengelassen werden, so daß die Tiere ungehindert rein-
und rausgehen können, bei Bedarf fressen, saufen oder sich hinlegen können oder wieder
hinaus an die frische Luft, um mit den Pferdenachbarn zu spielen. Am Nachmittag werden die
Türen dieser Seite geschlossen - um vermeintlichen/eventuellen Zug zu vermeiden - und die
andere Seite bleibt offen, damit alle Pferde gleichberechtigt von dem Auslauf profitieren
können. Zusätzlich können die Pferde im Winter auf eigene Verantwortung und ohne E-Zaun
vom Besitzer auf die Schneekoppeln gebracht werden. Es ist also auch hier in der
Boxen/Paddock-Kombination für kontinuerliche Bewegung und Abwechslung der Vierbeiner
gesorgt.
Im Sommer kommen die Pferde in kleinen Wallach- und Stuten-Herden ganztags auf die
Koppel, wobei sie tatsächlich täglich rauskommen - auch wenns mal kalt oder feucht ist -, nur
dann nicht, wenn sich Orkanböen oder sonstiges angesagt haben.
Auch in diesem Stall läßt sich’s gut Distanzpferd sein, da unter anderem für ausreichend
Bewegung gesorgt ist. Der neunjährige Orlow-Traber “Paragraph” läuft seit zwei Jahren kleine
Distanzen und wird zur Zeit für die mittleren Distanzen (ab 60km) aufgebaut. Seit er - der
bisher nur Boxenhaltung kannte - vor einigen Monaten in den neuen Stall umgezogen ist, ist er
deutlich ausgeglichener - benötigt zum Beispiel vor dem Reiten kein Laufenlassen mehr - und
hat weniger angelaufene Fesselgelenke an den Hinterbeinen. Seine benötigte Anlaufzeit, um auf
den Trainingsritten schnell und ausdauernd zu werden, ist deutlich gesunken.
Paragraph wird in der Woche hautsächlich dressurmäßig gearbeitet, weshalb er sehr gut
durchgymnastiziert ist. Alle zwei Wochen nimmt er am Springunterricht teil, da er gut und
gerne springt und an den Wochenenden und Feiertagen geht’s stundenlang ins Gelände. Eine
gute und abwechslungsreiche Mischung, um ein Distanzpferd fit für die lange Strecke zu
machen, ist doch der Spaß an langen, schnellen Ritten in der Natur besonders groß, wenn
tagelang in der Halle mit viel Schweiß auf beiden Seiten Dressur geübt wurde. Außerdem wird
so der einseitigen Belastung eines Distanzpferdes, welches oft stundenlang geradeaus gehen
muß (linear reiten), vorgebeugt.
Boxen/Paddock-Stall: Nachteile:
Im Reitstall-Verbund muß alles mit Stallbesitzern und anderen Einliegern besprochen werden; das heißt, es
gibt immer nur Kompromißlösungen.
Paddock-Türen können nicht individuell geöffnet/geschlossen werden.
Die Paddocks können den Bewegungsdrang des Pferdes nicht ausreichend abfangen; sie sind nur ein kleines
Ventil.
Der soziale Kontakt besteht im Winter nur über Zäune und Gitterstangen; es gibt also keine gegenseitige
Fellpflege
Vorteile:
Es ist eine Reithalle, ein Außenviereck, ein Longierzirkel vorhanden. (Abwechslung fürs Pferd/Reiter)
Vom Stallbesitzer werden die Pferde auf Paddock/Koppel gebracht und von ihm wird ausgemistet.
Die Kraftfutterrationen werden vom Stallbesitzer über den ganzen Tag in drei Rationen verteilt
Ein Stehtag schadet dem Pferd nicht
Das Pferd ist immer im Zugriff, da die Pferde abends/nachts in der Box stehen.
Es ist ein Reitlehrer vorhanden, der vielseitig lehren kann
Resumee
Die oben aufgeführte Liste der Vor- und Nachteile ist natürlich nicht vollständig, sondern soll
nur grob skizzieren, mit welchen Umständen man bei der Wahl des einen oder anderen Stalles
rechnen muß. Der Vergleich der Vor- und Nachteile speziell dieser beider Stallbauten läßt sich
im Großen und Ganzen auf Offenställe und Boxen-Paddock-Haltung generell übertragen. Es ist
verwunderlich, daß die vorteilhafte Verbindung von Offenstall-Haltung und dem
Vorhandensein einer Reithalle in den seltensten Fällen verwirklicht ist.
Das A und O für die Lanstreckenläufer ist die Bewegung, - sowohl während der Turniere als
auch davor und danach. Insofern eignen sich beide Haltungsweisen besonders gut für diese
Pferde, da sie bewegungsmäßig ständig in der einen oder anderen Weise gefordert sind. Das
Bewegungspensum bei beiden Haltungsarten hält sich manchemal sogar die Waage, etwa dann,
wenn im Offenstall die fehlende Reitmöglichkeit am dunklen Abend durch Laufen auf der
Koppel am nächsten Tag kompensiert wird. Umgekehrt sind Boxen/Paddock-Pferde vielleicht
besser gymnastiziert, da sie stets im Zugriff sind und daher eventuell häufiger geritten werden.
Und zwar kontinuierlich jeden Tag. Der Druck für den Reiter, dem Pferd Bewegung zu bieten,
ist hier natürlich wesentlich größer als bei Offenstall-Pferden.
Insgesamt läßt sich sagen, daß natürlich auch Pferde, die nur in der Box leben, gute
Distanzpferde sein können. Nur setzen sie einen wesentlich größeren Zeiteinsatz des Reiters
voraus, der sein Pferd ja nur durchs Reiten, Longieren oder Spazierengehen fit bekommt. Alles
Tätigkeiten, die voraussetzen, daß der Reiter immer anwesend sein muß. Bei voll Berufstätigen
eine Bedingung, die kaum erfüllt werden kann. Und die Frage, welche Haltungsform fürs Pferd
gesünder ist, muß hier ja uch nicht erneut beantwortet werden.