Lotte-Der Anfang einer großen Liebe
Daniela Wegert


Lotte-Der Anfang einer großen Liebe

Es gibt Ereignisse und Erlebnisse im Leben, die man ganz einfach nie vergißt. Vielleicht weil sie schlechte Gefühle in uns wachrufen, oder weil sie so wunderschön waren, daß sie für immer im Gedächtnis verankert bleiben. Oder aber vielleicht aus dem Grund, weil sie das Leben auf irgendeine Weise verändert haben, auf gute oder schlechte sei nun dahingestellt. Ich bin heute sechsundzwanzig Jahre und kann mich an meinen ersten Ritt auf einem Pferd erinnern, als sei es gestern gewesen.

Ich war damals sieben Jahre alt und wohnte mit meinen Eltern auf einem etwas abgelegenen, alten Gutshof .Es war ein großes ,feudales Haus - zur linken und zur rechten Seite eingerahmt von einer Scheune und einem Kuhstall. Ich kann mich genau entsinnen, daß am Eingang zum Hof ein großes, massives Tor stand, auf dessen Pfeiler zwei riesige Steinkugeln thronten. Einerseits war es für Kinder der ideale Ort ,um aufzuwachsen, weitab vom Lärm der Großstadt inmitten von Feldern und Wald. Anderseits ist es wohl kaum zu glauben, daß ich bis zu meinem siebten Lebensjahr kein einziges Pferd natura gesehen habe, obwohl ich auf dem Land wohnte. Pferde kannte ich nur aus dem Fernsehgerät von Winnetou oder von meinem wohlbehüteten einzigen Pferdekalender .Fasziniert haben sie mich aber schon immer. Und irgendwie hatte ich insgeheim Sehnsucht nach ihnen. Ab und an sah ich weitab am Waldrand ein paar Reitersilhouetten ,das war aber auch alles. Bis zu dem Tag, an dem Lotte kam. Lotte, meine erste große Liebe.

Ich spielte wie immer mit meinem Bruder auf der großen Strohmiete vor dem Kuhstall. Das war unser Lieblingsspielplatz. Wir bauten Höhlen aus Strohballen, übten Luftrollen und Saltos oder lagen einfach nur in der Sonne und dösten. Vom Hof führte ein sehr langer Weg hinunter zur Straße,die unser abgelegenes Gehöft mit dem Rest der Welt verband. Von das aus kam man in das kleine Dorf zwei Kilometer weiter oder, wenn man ein Fahrrad besaß, in die sieben Kilometer entfernte Stadt. Oder es kam jemand zu uns und an diesem Tag war es jemand, der mein Leben veränderte. Nämlich Lotte. Langsam trottete sie den holprigen Weg hinauf, einen Karren hinter sich ziehend. Sie war eine riesige, kräftige Fuchsstute mit einem sehr breiten Rücken und klobiger Hufe. Zu meinem Erstaunen war der Kutscher sehr nett, obwohl er nicht so aussah. Er saß auf dem Bock, schnalzte ab und zu mit der Zunge und wirbelte mit den Zügeln ein wenig umher, wobei Lotte im ersten Moment schneller wurde, um Sekunden später wieder in ihren alten Trott zu fallen. Ich muß sehr dumm ausgesehen haben, vielleicht so, als sähe ich einen Außerirdischen. Aber irgendwie war es ja auch so. Hatte bis zu dem Zeitpunkt ja noch nie ein Pferd gesehen. Und der Kutscher besaß wohl echte Menschenkenntnis. Jedenfalls fragte er mich das, was ich mir sehnlichst wünschte. Ob ich mich raufsetzen will ? Und ohne eine Antwort abzuwarten ,sprang er vom Kutschbock , hob mich mit einem Hieb hinauf und ich thronte das erste mal in meinem Leben auf einem Pferd.

Ich wußte nicht, ob ich Winnetou oder Old Shatterhand sein sollte. War mir auch egal. Ich saß auf einem Pferd und war stolz, so stolz. Und es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber es war wunderschön. Ich hielt mich mit einer Hand am Sielengeschirr fest und streichelte mit der anderen den Hals des Pferdes. Das Lederzeug knirschte bei jedem Schritt und der große ,breite Rücken schaukelte einmal nach links, einmal nach rechts. Lottes Rücken war so breit, daß mir meine kurzen Beine ein bißchen weh taten, die fast im Spagat zu beiden Seiten herabbaumelten (oder nein, wohl eher abstanden). Aber er war weich und warm und gab mir auch Sicherheit, denn runterfallen konnte man von dem riesigen Schaukelpferd gewiß nicht. Von hier oben sah die Welt ganz anders aus, irgendwie schöner, friedlicher. Und als ich an meinem Bruder vorbei ritt, konnte er wohl das Glänzen in meinen Kinderaugen nicht verstehen. Ich ließ mich tragen und fühlte mich sicher. Und das Erlebnis sich auf ein größeres viel stärkeres Wesen einzulassen hat mich bis heute, 19 Jahre später, nie wieder losgelassen.

Heute sind die Rücken der Pferde nicht mehr so breit. Aber die Tiere haben für mich nie ihre Faszination verloren. Es wurde eine Liebe für's Leben. Lotte kam noch zwei mal und holte mit ihrem Kutscher Kuhmist vom Stall. Und ich schaukelte noch zweimal auf ihrem Rücken den langen, kurzen Weg hinauf zum Gutshof und wieder hinunter zur Straße. Die Tage darauf stand ich umsonst unten an der Straße und wartete auf meine Freundin, doch ich sah sie nie wieder. Lotte lebt schon lange nicht mehr. Aber die Erinnerung an sie lebt in mir weiter. Die große Fuchstute mit dem breiten, sicheren Rücken, der mich die Welt zum ersten mal mit anderen Augen sehen ließ.Und auf dem für mich die Liebe des Lebens begann.Und der Kutscher,der wohl nicht ahnte,welche Freude er mir damit machte, indem er mich auf seinem Arbeitstier reiten ließ. Aber vielleicht konnte er das Glänzen in meinen Augen besser deuten, als mein Bruder. Und wenn ich könnte, würde ich ihn heute dafür danken.

Daniela Wegert, März 1998

weitere Autorenbeiträge

Die Koppel
Copyright © 1996 - 1999