Anja von Hoensbroech |
Nachdem ich mich über den Distanzsport ein wenig kundig gemacht hatte, meldete ich mich beim Veranstalter an. Das Training für diese Wegeslänge war nicht aufwendig. Ich ritt mit meinem Pferd, einem Vollblutaraber-Wallach, täglich eine Stunde im Gelände und ab und zu auf unserem kleinen Reit-Viereck. Je näher der Wettkampf-Tag kam, desto aufgeregter wurde ich. Diese vor einem Ritt aufkommende Aufregung hat sich bis heute nicht gelegt und gibt derartigen Veranstaltungen immer aufs Neue eine willkommene Würze.
Am Abend zuvor bepackte ich unseren Kombi mit allen möglichen Distanzritt- Utensilien. Um vier Uhr in der Früh jagte mich der Wecker aus den Federn und ich hatte jede erdenkliche Mühe, den „Rest der Familie“ (Kind, Mann und Hund) wach zu rütteln. Im Halbschlaf zum Auto unterwegs, stellte ich mit Entsetzen fest, daß vor lauter Reit-Krimskrams kaum noch Platz für uns war. So quetschten wir uns regelrecht zwischen die Sachen und kamen nach circa 20 Minuten Fahrt in unserem Stall an. Wir koppelten den Anhänger an und holten mein Pferd aus dem Offenstall. Gott sei Dank, er hat sich nicht im Matsch gewälzt, fuhr es mir durch den Kopf. Nach dem dritten Verladeversuch, stand er auch schon im Hänger. Dann konnte es ja los gehen. Die Sonne ging grad auf und es versprach, ein warmer Tag zu werden.
Nach eineinhalbstündiger Fahrt kamen wir am Ort des Geschehens, Schweitenkirchen in Oberbayern, an. Die große Wiese war bereits übersät mit Zugfahrzeugen und ihren Anhängern und wir reihten uns in die lange Schlange ein. Wir luden mein Pferd ohne Probleme aus und ich ging zu den nahegelegenen Stallungen zur Meldestelle. Dort erhielt ich eine Streckenkarte, eine Vet-Check-Karte und meine Startnummer. Doch wollte ich bei meinem ersten Ritt nicht allein losreiten und fragte deshalb bei der Meldestelle, ob ich mich vielleicht jemand anscließen könne. „Ja, vorhin war ein Mädchen da, das auch nicht alleine starten will“, sagte der junge Mann zu mir und gab mir eine neue Startzeit, nämlich die des Mädchens.
Wieder bei meinem Anhang angekommen, verabschiedete ich mich von meiner Familie, die nicht den ganzen Tag hier „herumhängen“ wollte und deshalb wieder nach Hause fuhr. Nun machte ich mich mit meinem Pferd auf zur Voruntersuchung. Langsam wird auch mein Wallach wach und wiehert aufgeregt nach seinen vertrauten Stallgenossen. Von einem Tierarzt wird das Pferd untersucht und glücklicherweise läßt er alles ruhig über sich ergehen. Eine Helferin malt in roter Farbe die Startnummer auf die rechte und die linke Seite seiner glänzend weißen Hinterhand. Werde ich die Farbe jemals wieder abbekommen? „Ja, ja, mit etwas Seife, Wasser und eienr Bürste verschwindet das leuchtende Rot bestimmt wieder“, versichert man mir.
Zu unserem Lager zurückgekehrt, lege ich meinem Freund etwas Heu zum Knabbern vor und ich genehmige mir einen Kaffee und ein Müsli. Dann begann ich, meine Distanzritt-Untensilien für den bevorstehenden Ritt zu präparieren. Schwamm, Hufkratzer und eine Klarsichthülle für die Streckenkart wurden am Sattel montiert. In dem Hüftbeutel verschwanden kleine Trinktüten, Süßigkeiten, Taschenmesser., Pflaster, Asperin und Telefongeld. Im Augenwinkel bemerkte ich, daß eine kleine Menschenmasse zu den Stallungen strömte und siedenheiß fiel mir ein, daß es Zeit für die Vorbesprechung sein mußte. Aber konnte ich meinen Vierbeiner, angebunden am Hänger, völlig ohne Aufischt allein zurücklassen? Ein Paddock wäre jetzt sehr viel praktischer und so frage ich einen Herrn, ob er ab und zu ein Auge auf mein Pferd wirft. „Ja, natürlich“, lautet seine Antwort und so mache ich mich auf den Weg zur Vorbesprechung.
Eine große Traube war bereits um den Veranstalter des Einführungsrittes versammelt, der gerade auf die Besonderheiten der Strecke aufmerksam machte. „Heute soll es sehr heiß werden und ich bitte alle Teilnehmer, dies zu berücksichtigen und die Pferde nicht zu überfordern.“ hieß es da zum Beispiel. Nach etwa 20 Minuten war die Besprechung beendet und die Traube löste sich wieder auf.
Angekommen bei meinem Pferd, stellte ich erleichtert fest, daß es noch da war: es stand gelassen an seinem Platz und knabberte am Heu. Obwohl ein paar Pferde vor seiner Nase auf- und abgetrabt wurden, blieb er ruhig. Noch eine dreiviertel Stunde Zeit bis zum Start! Ich sattelte sorgfältig und vergewisserte mich, ob ich auch an alles gedacht und nichts vergessen hatte. Kaum saß ich im Sattel, wurde ich schon wieder nervös. Ich ritt ein paar Runden auf der Wiese und bewegte mich Richtung Startplatz fort. Dort herrschte reger Betrieb: Zuschauer, Helfer und Teilnehmer mit ihren Pferden, die auf ihr Startzeichen warteten, sorgten dafür, daß mein Partner munter wurde. Er fing an zuwiehern und tippelte ungeduldig hin und her. Ich hielt Ausschau nach meiner Begleiterin, die ich bisher nur als Nummer kannte. Ein LK(?)- beauftragter trat auf uns zu und begutachtete unsere Ausrüstung. keine Gerte, keine Sporen, keine atembeengende Zäumung, - alles okay. Dann sah ich einen großen Schimmel mit der mir bekannten Nummer. Das Paar kam auf uns zu und wir machten uns gegenseitig bekannt. Gemeinsam beobachteten wir drei Reiter, die gerade im flotten Trab vom Start weg auf die Strecke gingen. Noch drei Minuten! Mir wurde mulmig...
Hoffentlich habe ich ausreichend trainiert, schoß es mir durch den Kopf, denn wie ich von meiner Begleiterin erfahren konnte, arbeitete sie mit ihrem Pferd jeden Tag bis zu drei Stunden. Ich fragte das Mädchen, ob wir auch direkt lostraben sollten. „Natürlich“, lautete die prompte Antwort. Dann kam das Startzeichen und los ging’s. Im frischen Trab setzten wir mutig an, um direkt wieder zum Stehen zu kommen. Am rechten Wegesrand schaute ein Grüppchen Lamas auf einer Weide neugierig zu uns herüber. Unsere Pferde identifizierten diese Tiere wohl gleich als pferdefressende Monster und weigerten sich partout, an diesen rätselhaften Kreaturen vorbeizugehen. So schnell werden wir dann wohl doch nicht auf die Strecke kommen, dachte ich. Das Mädchen schimpfte lauthals, ich flüsterte zuckersüße Worte ins Ohr meines Begleiters und siehe da: beide Schimmel setzten sich - zwar zögernd - in Bewegung und stelzten im großen Bogen an den Ungeheuern vorbei.
Die Wege waren ideal für die Pferde. Die Markierungen an der rechten Seite waren so gut, daß ich nie in die Karte schauen mußte. Ab und an kamen Reiter von hinten, die uns zuriefen "Dürfen wir vorbei?" Wir machten Platz und liessen die kleine Gruppe passieren, die sogleich über alle Berge war. Gott sei Dank ließ sich mein Pferd von diesen Überholmanövern nicht irritieren und blieb relativ cool und wir trabten durch die unbekannte, schöne Landschaft über Wiesen-, Wald- und Feldwege. Es wurde immer heißer und die Mittagssonne brannte erbarmungslos auf uns herab. Natürlich hatte ich vergessen, meine Haut mit Sonnencreme zu versorgen: Krebsrot!
Nach fast einer Stunde Ritt erreichten wir den ersten Vet-Check. Eine Helferin maß den Pferde-Puls und trug die Werte in die Check-Karte ein. Die Werte waren in Ordnung und so konnten wir sofort weiterreiten. Ich ließ mein Pferd noch Wasser saufen und dann gings weiter. Meine Begleiterin hatte sich von mir getrennt, da sie schneller reiten wollte, ich aber mein eigenes Tempo beibehalten wollte. Eine Zeitlang gabs sehnsüchtiges Wiehern auf beiden Seiten, aber durch immer wieder neue Reiter beruhigte sich mein Pferd schnell. Auf einem Wiesenweg führte die Strecke an einem Fluß entlang und die meisten galoppierten hier. Zwangsläufig schlossen wir uns der Galoppade an. Völlig durchgeschwitzt kamen wir im zweiten Vetcheck an. Auch hier: die Pulswerte waren sehr gut. Nur noch schnell dem Tierarzt vortraben und schon entließ man uns wieder auf die Strecke. Das letzte Drittel verging wie im Flug. Mein Wallach war - trotz der Hitze - immer noch munter, wobei mir selbst das ganze schon zu schaffen machte. Im Ziel angekommen, wurden die Werte erneut gemessen und dann nochmals nach 20 Minuten.
Danach hieß es, zwei Stunden auf die Nachuntersuchung warten. Ich nutzte die Zeit, um meinem Pferd den getrockneten Schweiß rauszubürsten, gab ihm ausreichend Wasser und Heu und ließ ihn grasen oder spendete ihm durch den nahegelegenen Waldrand ein wenig Schatten. Jetzt war die Hektik des Morgens auch verflogen und viele Teilnehmer dösten wohlig in der Sonne oder gingen zu den Stallungen, um sich mit Kuchen oder Bratwürsten zu stärken.
Die Nachuntersuchung war für uns dann nur noch bloße Routine. Wir waren zwar nicht die schnellsten, aber wir beendeten den Ritt in der Wertung. Es hat sehr viel Spaß gemacht und wir nehmen bis heute an Distanz-Veranstaltungen teil. Auf den Distanzritten lernt man immer wieder neue Leute kennen und manchmal sind welche dabei, die ihr Pferd ganz in der Nähe haben. Dann kann man mit ihnen gemeinsam trainieren oder Distanz-Veranstaltungen planen und dann macht das Ganze noch viel mehr Spaß.
Anja von Hoensbroech