Russische Pferde im Distanz-Sport: Andrea Stercken
Eine erfolgreiche Mischung
Seit der Grenzöffnung und dem Mauerfall ist es immer weniger eine Seltenheit, russische
Pferde in Deutschland zu sehen. Etliche Händler haben sich mittlerweile sogar auf
russische Pferde spezialisiert, weil sie gute Kontakte zu den GUS-Staaten haben - insofern
auch gutes"Material" einkaufen können - und es ihnen auch nicht schwerfällt, deutsche
Käufer für die Pferde zu finden. Auch russische Zuchten in Deutschland sind immer mehr
zu finden. Auf Turnieren in Deutschland sind diese Vierbeiner immer häufiger zu sehen,
leider meist nur als"Ausländer" auf der Teilnehmerliste geführt.
Sei es bei Dressur- oder Springturnieren, in der Fahr- oder Westernszene - die"Russen"
mischen mittlerweile fast überall mit.
So haben Elmar Gundel im Springen, Reiner Klimke in der Dressur oder Josef Zeitler jun. im
Fahren immer wieder beachtliche Erfolge mit russischen Pferden aufzuweisen. Letzterer sogar
mit selbst gezüchteten Orlow-Trabern auf dem eigenen Gut in der Nähe Starnbergs. Besonders
geeignet scheinen die russischen Vierbeiner aber auch für den Distanzsport zu sein.
Russen im Einsatz beim Distanz-Reiten
Der Distanzsport stellt eine Disziplin dar, die genau jene Eigenschaften voraussetzt, die gewisse
GUS-Pferderassen normalerweise von Natur aus mitbringen: Ausdauer, Drahtigkeit (Schlanker
Körper), Schnelligkeit und Freundlichkeit.
Führt man sich vor Augen, wie die einzelnen russischen Pferde-Rassen entstanden sind, so ist
dies eigentlich auch kein Wunder. Budjonnys, Achal Tekkiner, Orlow-Traber, Don oder
Tersker - um nur einige Rassen zu nennen - können alle auf eine Entstehung verweisen, die
zum primären Ziel hatte, ein hartes, genügsames, schnelles, energisches und besonders
umgängliches Pferd zu schaffen. Ein Pferd, das sowohl bei der täglichen Arbeit als
Fortbewegungsmittel oder auch im Krieg uneingeschränkt eingesetzt werden konnte und
bedingungslos gehorchte. Dem es nichts ausmachte, auch mal zu hungern oder zu dürsten.
Alles Eigenschaften, die bei Distanzrennen unabdingbar sind, denn bei diesem Sport müssen
beide - Pferd und Reiter - an einem Strang ziehen. Und das vom Start weg.
Meinungsverschiedenheiten, Ängstlichkeit oder komplizierter Pferdecharakter können da schon
von vorneherein alle Chancen zunichte machen.
Beim Distanzreiten kommt es auf die Ausdauerleistung an. Nicht auf kurzer Strecke schnell zu
sein, sondern über lange Strecken bis zu 160km an einem Tag nicht den Atem zu verlieren, -
das ist in diesem Wettbewerb gefragt. Und genau diesen Anspruch erfüllen zu können, haben
die oben erwähnten Rassen gemein. Ausdauer zeigen, ohne große Ansprüche zu stellen, das
war und ist das Ziel der jeweiligen Zucht. Die vielen veterinärmedizinischen Untersuchungen
vor, während und nach den Distanzen verhindern dabei, daß die Pferde durch diese
Hochleistung Schaden an Körper und Seele nehmen.
Der Achal-Tekkiner
Auf den riesigen Koppeln und Steppen der GUS, wo die Pferde nahezu noch unberührt vom
Menschen - ohne Zaun und besondere Pflege - heranwachsen, greift der natürliche
Mechanismus der Selektion noch. Unter härtesten Bedingungen, beispielsweise ganzjähriger
Haltung im Freien bei dürftiger Ernährung entwickelten sich Pferde, wie etwa der Achal-
Tekkiner - kurz Tekke genannt -. Er wird als der "Windhund unter den Pferden" oder "das
dritte Vollblut auf der Welt" bezeichnet, hat kein Gramm Fett auf dem Leib und seine langen
und sehnigen Beine scheinen in der schnellen Bewegung den Boden kaum zu berühren. Den
Achal-Tekkinern wurden früher sogar dicke Decken - auch im Sommer - aufgelegt, damit jedes
Fett und jedes überflüssige Wasser aus der ohnehin dünnen Haut ausgeschwitzt wurde. Daraus
entsprang dann der Glaube, diese Rasse könne regelrecht Blut schwitzen, was zum Teil sogar
stimmte.
Der Achal-Tekkiner ist ein echtes Wüstenpferd, edel, hart, elegant, ausdauernd, hitzetolerant
und verfügt über imponierende Dauerleistungen. Der metallische Goldglanz im Pferdefell ist
typisch für viele russische Rassen, beim Achal-Tekkiner ist er allerdings immer und am
ausgeprägtesten zu finden. Nicht umsonst gelten die Tekken als die "himmlischen Pferde".
Im Jahr 1935 bewältigten diese Pferde die Strecke von Ashkabad - zwischen dem schwarzen
und dem kaspischen Meer - bis nach Moskau in nur 84 Tagen - eine Distanz von 4125
Kilometern, von denen fast 1000 Kilometer durch reine Wüste ohne Wasservorkommen
führten. Diese Meisterleistung ist nie wieder erreicht worden.
Der Budjonny
Der Budjonny hat - ähnlich wie der Tekke - meist einen Goldglanz in seiner dominierenden
Fuchsfarbe. Er ist deutlich massiver gebaut, wenngleich er immerhin zu fünfzig Prozent
vollblütig ist, da er durch die Anpaarung von edlen Don-Stuten und englischen Vollblut-
Hengsten entstand. Durch die Art der Züchtung und Haltung verfügt diese Rasse über eine
kräftige Konstitution und eine gute Kondition. Ursprünglich - etwa ab 1921 - von Marschall
Semjin Michajlowitsch Budjonny als ausdauerndes Kavalleriepferd gezüchtet, ist die Rasse
heute ein vielseitiges, gutes Reitpferd und seit 1948 offiziell anerkannt.
Der Budjonny eignet sich aufgrund seiner Anspruchslosigkeit, Ausdauer und seinem
angenehmen Temperament besonders für Hindernisrennen und Distanzritte, bei denen er in den
GUS-Zuchtstätten härtesten Test unterworfen wurde. So legte beispielsweise der berühmte
Hengst Santos in 15 Tagen 1800 km zurück, ein anderer Budjonny-Hengst, Zanos, legte eine
Strecke von 309 km in 24 Stunden zurück, davon waren 20 Stunden reine Reitzeit.
Der Orlow-Traber
Der Orlow-Traber ist bereits durch seine rassetypischen Trab-Fähigkeiten zum Distanzsport
prädestiniert, da bei den meisten Pferden der Trab die Haupt-Gangart bei einem Langstrecken-
Ritt ist.
Als älteste und wohl auch bekannteste russische Pferde-Rasse begann Graf Alexej
Grigojewitsch Orlow bereits 1788 mit der Zucht dieser Traber auf Basis eines arabischen
Schimmelhengstes - namens Smetanka -, der zum Decken bei holländischen,
mecklenburgischen und dänischen Stuten eingesetzt wurde. Gewünscht wurde ein schnelles,
elegantes Wagenpferd. So wurden die ersten regulären Trabrennen in Westeuropa
ausschließlich mit Orlow-Trabern bestritten. Als Gebrauchspferd vor dem Wagen oder Schlitten
mußte der Orlow genügend rahmig und kräftig sein, um den harten Anforderungen zu genügen.
Vorherrschend bei Orlows ist die Farbe Weiß, der ideale Körperbau vereint Höhe mit
Leichtigkeit und Kraft. Durch seine guten Proportionen wirkt er sehr elegant, seine Beine sind
fein und straff und gut bemuskelt. Besondere Kennzeichen sind Ausdauer und Langlebigkeit.
Das Don-Pferd
Die sich im 18. und 19. Jahrhundert entwickelnde Rasse der Don-Pferde und ihre Reiter
wurden in den Jahren 1812 bis 1814 während des Rußlandfeldzuges Napoleons berühmt, als
60000 mit Dons berittene Kosaken die napoleonischen Truppen aus Rußland zu vertreiben
halfen. Seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde die Rasse rein gezogen,
vorwiegend als solides, unkompliziertes Militärpferd, das bei geringem Futter- und
Pflegeaufwand als Reit- und Fahrpferd geeignet ist.
Donpferde werden als Rasse speziell für lange Distanzen gezüchtet, wobei die besten
Donpferde aus dem Budjonny-Gestüt stammen. Der Don ist ein stattliches, leichtes, aber
kräftiges Pferd im Vollbluttyp; überwiegend Füchse mit auffallendem Goldschimmer, wie bei
den Tekken und Budjonnys. Das Don-Pferd ist zäh und ungewöhnlich ausdauernd,
anspruchslos und unempfindlich gegenüber jeder Witterung. So ritten 1883 vier Offiziere mit
14 Kosaken bei Frost bis -20oC in 11 Tagen 1300 km von Nowgorod nach Moskau. 1950
legten fünf Don-Hengste ( Sinus, Banderist, Dobry, Beduin, Derbist) bei einer
Leistungsprüfung innerhalb von nur 24 Stunden 305 km zurück, ein weiteres Pferd namens
Zenit schaffte in dieser Zeit sogar 311, 6 km.
Der Tersker
Etwa zeitgleich mit dem Budjonny - um 1921 - entstand eine weitere russische Rasse, zunächst
im Staatsgestüt Tersk, ab 1950 im Staatsgestüt Stawropol: der Tersker. Die Stammväter des
Terskers sind reinrassige Araber, die allgemeine Basis dieser Zucht bildeten Streletzker,
Karbardiner, Halbblüter, Englisches Vollblut sowie Don-Pferde. Die herausragende Farbe
dieser Rasse ist Weiß mit einem Silberschimmer im Fell. Das Stockmaß liegt zwischen 154 und
162.
Von der Optik her erinnert der Tersker - ähnlich wie der Shagya-Araber - sehr stark an
Vollblutaraber, hat deren Eleganz und Härte, steht allerdings in einem größeren Rahmen. Der
Tersker ist ein sehr gutes Geländepferd mit extremer Ausdauer. Er wird in den GUS-Staaten im
Flachrennen bei hoher Rennleistung eingesetzt.
Erfolge mit Russen bei der Distanz-Reiterei
Kein Geringerer als Wolf Kröber, der Gründer der Pferdemesse "Equitana", machte in den
70er Jahren auf die Leistungsfähigkeit der Russen im Distanzreitsport aufmerksam. War er es
doch, der mit seinem Achal-Tekkiner-Hengst Bechtau überragende Leistung in dieser
Wettkampf-Gattung demonstrierte. Bechtau lief dreimal den Distanzritt von Ankum über 50 km
und gewann mit Kröber 1973 den ersten deutschen 100-km-Ritt in der Bielefelder Senne.
Das bekannteste russische Distanzpferd hierzulande ist bis heute die Anglo-Kabardiner-Stute
Gracia unter Anne-Dörthe Stolze. Gracia ist heute 17, läuft seit 13 Jahren in der Wertung und
hat mindestens 4300 Wettkampf-Kilometer zurückgelegt, davon vier Hundertmeiler, war
viermal in der deutschen Nationalmannschaft, unter anderem bei der Weltmeisterschaft in
Stockholm 1990. 1994 war das Paar Dritte bei den Deutschen Meisterschaften und Neunte in
der Eldric-(European Long Distance Rides Conference)Wertung, der Europa-Liga der
Langstrecken-Reiter.
Ein weiteres Paradebeispiel eines im Distanzsport erfolgreich eingesetzten russischen Pferdes ist
die mit fünf Jahren aus Stavropol/UDSSR importierte Tersker-Stute Czippa von Ina Baader.
Sie läuft seit 1986 lange Distanzritte bis 120km, insgesamt sind so bis Oktober 1996 über 10
000 Kilometer zusammen gekommen! Das entspricht einem Jahresdurchschnitt von etwa 1000
Kilometern, 1990 erreichte das Pferd sogar über 1500km. Damit hält Czyppa schon seit Jahren
den deutschen Kilometerrekord auf Distanzwettbewerben. Bis jetzt hat die Stute bei etwa
siebzig langen und zwanzig Mehrtagesritten teilgenommen und damit eine selten konstante
Leistung und erstaunliche Härte bewiesen. Auch heute noch, mit 21 Jahren, läuft die
Schimmelstute fleißig und konstant ihre Kilometer.
Eigentlich keine Werbung mehr nötig haben Vollblutaraber (VA) russischen Ursprungs.
Dennoch soll auf einen hingewiesen werden, der Hervorragendes leistete: Der weiße VA-
Hengst Persik wurde 1969 im russischen Staatsgestüt Tersk geboren. Er wurde später nach
Frankreich importiert und - nachdem er 1975 und 1976 die 130 km von Florac gewann - zur
französischen Distanzpferde-Zucht eingesetzt. In Frankreich gibt es sowohl spezielle
Distanzpferde-Zuchten wie auch die dazugehörigen Distanzpferde-Auktionen.
60 seiner Nachkommen sind erfolgreich auf Distanzen über 90 km unterwegs. Seit 1988 deckt
er nur noch VA-Stuten und ist bis über 1997 hinaus komplett ausgebucht. Das heißt, im Alter
von 27(!) kommt er immer nocht unverwüstlich seinen Pflichten nach. Die Härte,
Leichtfüßigkeit und Drahtigkeit, die er durchweg an seine Distanz-Nachkommen vererbt, sind
bei der internationalen Konkurrenz respektiert und gefürchtet. Die Leistungsdichte und
jahrelange Leistungsfähigkeit dieser besonderen russischen Vollblut-Araber-Dynastie beinah
unerreicht.
Die vier Beispiele sollen hier stellvertretend für viele stehen, um die Härte und Ausdauer dieser
Pferde zu beweisen. Es gibt etliche andere russischen Distanzpferde, die auf der langen Strecke
mitkämpfen. Sie alle hier aufführen zu wollen, würde den Rahmen dieses Beitrags jedoch
sprengen.Viele russische Pferde haben normale Pulswerte von 25 bis 30 in der Minute, und
kommen nach Belastung blitzschnell von 100 auf 40 runter. Das sind ideale Konditions-
Voraussetzungen für ein Distanzpferd, die man oft bei anderen Pferden auch durch noch soviel
Training nicht erreichen kann.
Erläuterung zum Begriff "Russische Pferde":
Wenn in diesem Beitrag von russischen Pferden die Rede ist, so sind natürlich nicht nur jene
aus Rußland, sondern alle Rassen aus der ehemaligen Sowjetunion oder den heutigen GUS-
Staaten (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) gemeint. So stammt der Achal-Tekkiner zum
Beispiel nicht aus Rußland, sondern aus Turkmenistan, er ist deshalb auch kein russisches,
sondern ein turkmenisches Pferd. Das Pferd aus der Ukraine ist ebensowenig ein Russe,
sondern eben ein ukrainisches Reitpferd. Beide Rassen werden den GUS-Staaten zugerechnet,
im landläufigen Sinne spricht man aber immer noch von russischen Pferden.
Literaturangaben:
Pferde, Das Heyne-Buch, Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München, 1992
Atlas der Nutztierrassen, von Hans Hinrich Sambraus, Eugen Ulmer GmbH & Co., Stuttgart1994