Andrea Stercken |
Bis ein Pferd wirklich reif für lange Distanzen ist, vergehen Jahre! Denn können auf der einen Seite Organe - wie Herz, Lunge oder Blutgefäße - und Gewebsorgane wie Muskeln relativ schnell trainiert werden, dauert auf der anderen Seite der Prozeß der Konditionsbildung anderer Gewebe - wie Sehnen, Bänder, Knochen und Knorpel - bis zu drei Jahren.
Eine häufig diskutierte Frage unter angehenden Distanzreitern ist deshalb die, welche Art des Trainings für den Vierbeiner die am besten geeignete ist, um ihn auf die Saison vorzubereiten und ihm die Voraussetzungen zu schaffen, daß er diese unbeschadet überstehen kann. Eine unter vielen möglichen Methoden ist die, dem Pferd Abwechslung zu verschaffen. Das beginnt bei der Gymnastizierung - gleich ob englisch oder western -, geht über Stangen- und Hindernisarbeit im nahegelegenen Wald, auf Feldwegen oder auf dem heimischen Reitplatz und Roundpen sowie der Reithalle, setzt sich fort im unerläßlichen Ausdauerreiten im Gelände und endet im intensiven Intervalltraining auf der Renn- oder Galoppbahn und dem Acker. Durch die Abwechslung vermeidet man die Gefahr, die Pferde sauer zu machen.
Die Gymnastizierung
Die Gymnastizierung ist für jedes Pferd, gleich, mit welcher Reitweise es geritten wird,
“die Conditio sine qua non”. Hat sie doch die Aufgabe, das Pferd überhaupt erst in die
Lage zu versetzen, einen Reiter zu tragen, ohne Schaden davonzutragen. Denn
ursprünglich kam das Pferd ohne Reiter auf die Welt und bewegte sich dementsprechend
auch ohne ihn fort. Deshalb ist eine dressurmäßige Grundausbildung (in der traditionellen
Dressur-Disziplin sollte sie etwa der Klasse A entsprechen) keinesfalls Selbstzweck,
sondern zielt auf kräftigende Muskelbildung und schonende Beanspruchung des Pferdes
ab, das von der Natur eben nicht als Tragtier vorgesehen ist und jetzt sogar zusätzliche
Leistungen vollbringen soll.
Das Pferd muß also soweit gebracht werden, daß es sich zunächst beim Einreiten unter dem Reiter ausbalancieren kann, also in Selbsthaltung, Gleichgewicht und nicht auf der Vorhand geht. Später soll die zu entwickelnde Muskulatur dazu beitragen, daß der Vierbeiner weder Schmerzen noch Dauerschäden davonträgt, wenn täglich ein Mensch nicht nur auf ihm sitzt, sondern sich auch in der Bewegung seinem Rhythmus anzupassen versucht. Gymnastizierung in diesem Sinne heißt also, das Pferd gelenkig, geschmeidig und biegsam zu machen, damit ihm die Bewegung leicht fällt und Muskelaufbau dort zu forcieren, wo die unterstützende Funktion der Muskeln gebraucht wird. Das heißt: am Halskamm, in der Schulter- und der gesamten Rückenpartie, an den Beinen etc...
Gymnastizierung sollte auch dazu führen, daß Pferd williger zu machen und das Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Reiter zu vergrößern. Nur dann kommt es den Wünschen des Menschen nach und kann gewisse Geländeschwierigkeiten meistern, ohne daß es durch sie „hindurchgeprügelt“ werden muß. Instinktmäßig beispielsweise geht kein Pferd freiwillig in einen Sumpf. Mit Vertauen zum Reiter jedoch läßt es sich von der Gefahrlosigkeit des Sumpfes ‘überzeugen’ und marschiert durch.
Nur ein gymnastiziertes und langsam aufgebautes Pferd vermag über längere Zeit ohne Gesundheitsschäden einen Reiter zu tragen. Der Verzicht auf dieses Aufbautraining führt zu frühzeitigem Verschleiß des Tragapparates und Widersetzlichkleit aus Verzweiflung über körperliche Schmerzen - in welcher Disziplin und bei welcher Spezialausbildung auch immer. Die regelmäßig eingeschobene Arbeit an der Longe vervollkommnet die Gymnastikarbeit.
Abschließend sei bemerkt, daß dem Pferd ab und zu - je nach Zeit ein bis zwei Mal die Woche - eine Massage nach Linda Tellington Jones sehr gut tut. Das sind vorwiegend Lockerungs- und Dehnungsübungen, um das Pferd vor dem Ritt oder vor der Nachuntersuchung aufzuwärmen, beziehungsweise in den Pausen zu lockern. Alle Handgriffe sind dabei betont langsam und nicht gegen den Widerstand des Pferdes durchzuführen.
Stangen- und Hindernisarbeit
Viele Pferde neigen dazu, zu stolpern, weil sie es gewohnt sind, auf glatten Flächen wie
Asphalt oder weichen Böden wie in der Reithalle zu laufen. Durch diese unnatürlichen
gleichmäßigen Böden sind sie verwöhnt und lernen es nicht, die Beine zu heben. Manche
haben ebenso die Tendenz, im Tritt nicht sicher zu sein, sprich, wenn der Boden einmal
uneben ist, nicht den optimalen Halt zu finden. Anderen wiederum fehlt die Möglichkeit,
sich zu strecken, den Rücken lang zu machen, weshalb sie manchmal verkrampft und mit
eingezogenem oder schiefem Schweif gehen.
Stolpern, fehlende Trittsicherheit, Verkrampfung und sonstiger fehlender Losgelassenheit kann man mit gezielter Stangenarbeit oder Springtraining über kleine Hindernisse entgegenarbeiten. Die Cavalettiarbeit oder Bodenspiele zum Beispiel helfen dem Pferd, sich zu lösen und lehren es, die Beine zu heben und regen seine Aufmerksamkeit bei der Arbeit an. Es lernt dabei auch, zu schauen, wo es seine Beine hinsetzt. Andere Pferde wiederum springen gerne und gut und brauchen diese Arbeit, um sich wirklich lang zu machen und die Rückenmuskulatur zu lockern. In vielen Fällen gehen die Pferde anderntags geschmeidiger eine Stunde Dressur, wenn sie vorher gesprungen wurden.
Ausdauertraining im Gelände
'Last but not least' wird der Streckenreiter natürlich im Gelände trainieren, um die
Gymnastizierung effektiv fortzusetzen. Denn die Losgelassenheit des Pferdes kann oft
schon dadurch erzielt werden, daß man eine halbe Stunde lang im Schritt spazierenreitet -
erst am langen, dann am hingegebenen Zügel. Mit Einbeziehung von Klettern und Reiten
auf unebenen Gelände wird die Beweglichkeit gefördert und die Geschmeidigkeit
verbessert. Die Konditionierung des Pferdes erfolgt großteils über den fleißigen Schritt,
hat aber zugleich zum Ziel, daß das Tier alle Tempi und Gangarten gleichmäßig
beibehalten kann. Weiter ist es anzustreben, daß das Pferd lernt, Geländeschwierigkeiten
wie Hänge, Sumpf- oder Wasserstellen unter dem Reiter zu meistern. Dabei wird zu
einem nicht unerheblichen Teil im Laufe der Zeit mehr Beurteilungsvermögen und größere
Selbständigkeit vom Pferd verlangt.
Dabei gilt, daß der Reiter sein Pferd am geschicktesten über die Streckenlänge, nicht aber über die Streckengeschwindigkeit auf die Anstrengung eines Distanzrittes vorbereitet. Denn die Leistung des Pferdes kann in erster Linie dadurch gesteigert werden, daß der Reiter ihm mehr Kilometer zumutet - durchaus und gerade auch im Schritt - , aber nicht dadurch, daß er seinem Partner eine höhere Geschwindigkeit abverlangt. Eine solche Methode pumpt das Pferd im Endeffekt nur aus, macht es “leer” und führt zu frühzeitigem Verschleiß.
Selbstverständlich sollte der Reiter sein Pferd auch mal Schnelligkeit spüren lassen; das ist als Vorbereitung sogar unverzichtbar. Es sollte jedoch mit Vernunft und in kleiner Dosis geschehen und nicht im Vordergrund stehen.
Da ist es wesentlich entscheidender, sein Pferd soweit zu bringen, daß es eine Stunde in dem ihm eigenen Trab laufen kann, ohne sonderlich zu ermüden. Das bedeutet, das Pferd muß seinen eigenen Trabrhythmus laufen dürfen, um ausdauernd über lange Strecken durchzuhalten. In Einzelfällen kann dies auch ein auf den ersten Blick langsamer Trab sein, der auf den zweiten Blick aber dazu beiträgt, daß dieses Pferd diesen Rhythmus tatsächlich stundenlang aufrecht erhält.
Das Endurancetraining im Gelände soll bei jeder Witterung stattfinden; schließlich finden die ausgeschriebenen Distanz- und Wander-Wettbewerbe auch immer draußen bei Wind und Wetter statt! Die in der Vorbereitung gesammelten Erfahrungen vermeiden unnötigen Ärger und Zeitverluste auf der Strecke.
Intervalltraining
Ist das Pferd einmal so weit, daß es über genügend Ausdauer und Grundkondition
verfügt, verkraftet es auch das sogenannte Intervalltraining. Um nicht weitere Kilometer
laufen zu müssen (und dadurch die Kondition zu steigern), bedient man sich diesen
Trainings, das wie folgt funktioniert: Kurzfristig treibt man die Pulswerte des Pferdes in die
Höhe - etwa durch einen forcierten Galopp oder durch schnelles Hochtraben eines steilen
Weges - um es hernach in einem langsamen und nicht anstrengenden Tempo zu reiten,
bis es sich fast erholt hat. Dann erfolgt erneut ein kurzfristiger „Streß“ und
anschließendem Warten, bis sich das Pferd halb regeneriert hat, etc.
Fazit: Zuerst wird die Ausdauer trainiert (lange Strecken im gleichmäßigen Tempo) und wenn die Ausdauer da ist, die Schnelligkeit (auch durch Intervalltraining). Im Training sollte vom Tempo und den Gangarten her so geritten werden, wie man es später für die Wettbewerbe annähernd auch anstrebt.
Für den equiden Marathonläufer stellt das sogenannte Intervalltraining also eine gute Technik dar, um auf einer relativ kurzen Strecke in relativ kurzer Zeit Kondition aufzubauen, diese zu erhalten und zu verbessern. Intervalltraining läßt sich gut rund um einen Acker, auf einer Galopp- oder Rennbahn - sofern vorhanden - oder sonstigem Terrain, das über eine gleichmäßige Bodenbeschaffenheit (die weder zu weich, noch zu hart ist) verfügt, ausüben. Dabei hat der Reiter über die Zügel immer nur eine lose Verbindung zum Maul. Rund um einen Acker - mit einer Strecke von einem Kilometer - läßt sich beispielsweise wie folgt üben: Linke Hand einmal im Schritt rum; Handwechsel; rechte Hand einmal im Schritt rum. Danach erfolgt wieder Handwechsel und die langsame Trabarbeit beginnt, einmal links, einmal rechtsrum. Nach erneutem Richtungswechsel sowohl links- als auch rechtsherum eine Runde Canter-Galopp. Anschließend am durchhängendem Zügel eine Erholungsrunde im Schritt. Dann wieder Trabarbeit, diesmal allerdings in schnellerem Tempo, dasselbe gilt für den Galopp. -
Selbstverständlich können auch mehrere Runden im Trab oder Galopp geritten werden, je nach Konditionszustand des Pferdes und je nach dem, welche Leistung erreicht werden soll. Auch ist die Steigerung der Runden-Anzahl ein Gradmesser für das Durchhaltevermögen des Tieres. Grundsätzlich gilt bei einem echten Intervalltraining, daß man dem Pferd im Schritt nur soviel Entspannung gönnt, bis es fast vollständig wieder erholt ist. Dann schaltet man bereits wieder in die höheren Gangarten oder Tempi. So ein Training kann im Schnitt 60 bis 90 Minuten dauern, etwa eine Wegesstrecke von 20 Kilometern bedeuten und fördert enorm die Kondition und verringert die benötigte Regenerierungszeit eines Pferdes. Einmal in der Woche in der Saison durchgeführt, kann es mit den dazugehörigen Kontrollen der Puls- und Atem-Werte positiv dazu beitragen, den Vierbeiner fit zu machen.
Resumee
Die oben beschriebenen Trainings-Strategien können sich auf die zur Verfügung
stehenden Tage wie folgt verteilen: drei Mal pro Woche Gymnastik in Form von etwa
Dressur- oder Reiningstunden, jeweils einen Tag “Spring”- und Intervall-Training, zwei
Mal Arbeit im Gelände. Gymnastik, Springen und Intervall sollten circa 1,5 Stunden
dauern, das Geländetraining jeweils zumindest drei bis vier Stunden erfordern. Das ist
natürlich nur ein Vorschlag; jeder sollte das Training - auch die Verteilung auf die
unterschiedlichen Übungsphasen - individuell seinem Pferd, sich selbst und dem
persönlichen Ziel anpassen.
Am Ende sollte selbstverständlich nicht vergessen werden, daß das Pferd nach konsequenter Arbeit auch Erholung braucht. - Das heißt, auf Paddock, Auslauf oder Koppel sollte es sich täglich (auch im Winter) mindestens ein paar Stunden ganz nach eigenem Gutdünken bewegen können. Diese zusätzliche Bewegung trägt nebenbei auch noch mal zur besseren Konditionierung und natürlich der psychischen Stabilität des Vierbeiners bei.
Denn mit der Zufriedenheit eines Pferdes bei der Arbeit ist der Erfolg bei Distanzritten schon zur Hälfte sicher.
Andrea Stercken
T6 = Tempo 6 = 1 Kilometer in 6 Minuten T5 = 1 km in 5 Min. T4 = 1 km in 4 Min. T3 = 1 km in 3 Min. T2 = 1 km in 2 Min. T1 = 1 km in 1 Min. |
Normale PAT-Werte eines gesunden Pferdes in Ruhe: Puls: 36 - 44 pro Minute Atmung: 8 - 35 pro Minute Temperatur: 38,5 |