Zwischen Software,
Server und Sattel
Zu Besuch bei den Betreibern
des Internetforums „Die Koppel“
Im wirklichen Leben grasen auf der Koppel von Andrea Dreßen und
Rudi Swatoch zwei Camargueschimmel und eine Trakehnerstute. Ihre virtuelle
Koppel ist heute mit fast 2 Millionen Zugriffen pro Monat das gefragteste
Internetforum rund ums Pferd, das sich zu einer echten Informationsdrehscheibe
entwickelt hat. Wir wollten wissen, welche Menschen und Ideen hinter einem
solchen Großprojekt stehen und haben die beiden auf ihrem Hof in der
Nordeifel besucht.
Als Andrea und Rudi eines schönen Tages im Jahr 1995 zwei ihrer Pferde
von der außerhalb gelegenen Weide holen wollten, war der Schreck groß:
Die Pferde waren weg! Der Zaun war unversehrt, das Weidetor war ganz offensichtlich
geöffnet und anders als gewöhnlich wieder geschlossen worden. All
das ließ eigentlich nur einen einzigen Schluss zu: Pferdediebe! Die
Befürchtungen wuchsen, als die Einwohner von Dedenborn und den benachbarten
Orten rund um den Rursee berichteten, dass in der Gegend schon öfter
einmal Pferde abhanden gekommen seien und diese meist auf den Schlachtpferdemärkten
des nur wenige Kilometer entfernten Belgien landeten. Nach dem ersten lähmenden
Schock wurden die beiden aktiv: Rudi, seines Zeichens Softwareentwickler
in einem Aachener IT-Unternehmen und Andrea als Webdesignerin - was
lag da näher, als das Medium des gerade erst aufkommenden Internets
zu nutzen, um nach den Pferden zu fahnden? Mit wohlwollender Erlaubnis von
Rudis Chef wurde kurzum der Firmenserver genutzt, um die in fieberhafter
Arbeit erstellte „Pferde-Hotline“ mit Steckbriefen der verschwundenen Pferde
ins Internet zu stellen. Kaum war alles online, klärten sich die Dinge
nach drei Tagen auf ganz unerwartete Weise: Ein Nachbar hatte berichtet,
in der Nähe der Pferdewiese nun schon des öfteren eindeutiges Wiehern
aus dem Wald gehört zu haben. Eine indianermäßige Spurensuche
ergab, dass beide Pferde ausgebrochen waren und dabei das Kunststück
fertiggebracht hatten, den Zaun nicht zu zerstören. Kurz vorher war
der Verpächter der Wiese noch auf derselben gewesen, was die Manipulation
am Tor erklärte. Die Pferde saßen in einem felsigen Steilhang
hoch über dem Fluss Rur fest, in den sie sich auf ihrem Ausflug hineinmanövriert
hatten. Die Leitstute hatte sich zudem an einer wilden Mülldeponie eine
Schnittwunde am Bein zugezogen und bewegte sich deshalb nicht mehr vom Fleck,
die andere blieb natürlich treu daneben stehen. Kurzum: die Pferde waren
wieder da und die Erleichterung groß. Aber die Pferde-Hotline im Internet,
so meinten die beiden, sollte man doch eigentlich weiter bestehen lassen,
vor allem, da innerhalb weniger Tage über E-Mail zahlreiche Informationen
mit Adressen von Händlern, Pferdemärkten und anderen möglichen
Anlaufstellen für die Suche eingegangen waren.
VON DER HOTLINE ZUM FORUM
Und da man nun schon einmal die
Internetpräsenz mit der Pferde-Hotline hatte, lag der Gedanke nah, das
Projekt mit einem Forum zu bereichern, in dem die Besucher sich in Form eines
„virtuellen Reiterstübchens“ über Probleme und Fragen rund ums
Pferd austauschen konnten. Da es zu dieser Zeit noch nicht wie heute fertige
Software für solche Meinungsforen gab, programmierte Rudi selbst und
hatte schon bald ein bedienerfreundliches Konzept geschaffen, in dem jeder
Teilnehmer ganz einfach selbst eine neue „Box eröffnen“, sprich ein
Thema zur Diskussion stellen konnte. Leser dieser Box können ihre Antwort
eingeben, per Mausklick abschicken und sie erscheint fast zeitgleich für
alle sichtbar auf dem Bildschirm. Um den Stein ins Rollen zu bringen, eröffneten
Rudi und Andrea die beiden ersten Boxen selbst – mit den Fragen „Mein Pferd
hat brüchige Hufe- was soll ich tun?“ und „Welche Befestigung für
den Paddockboden?“. Der Stein rollte – und zwar viel schneller als gedacht:
Zählte die „Koppel“, wie das Forum nun einprägsam hieß, im
Januar 1996 noch 1179 Zugriffe pro Monat, waren es im April des gleichen
Jahres schon 18.96, im Januar 1997 39.567 und im Januar 1999 fast beängstigende
710.692. Wir waren total überrascht,“ erzählt Andrea, „mit diesem
Ansturm hätten wir niemals gerechnet! Wir scheinen zu diesem Zeitpunkt
mit dem Konzept eine echte Lücke gefüllt zu haben. Und da die Koppel
damals das einzige Forum dieser Art war, blieben die Leute der ersten Stunde
auch dabei und sorgten für weitere Verbreitung.“
DIE BUNTE WEITE
WELT DER PFERDE
Heute gibt es kaum ein Thema rund
ums Pferd, das nicht auf der Koppel diskutiert wird – quer über alle
Rassen, Reitweisen und Weltanschauungen hinweg. Von drängenden Hilferufen
wie „Ammenstute gesucht“ über saisonale Dauerbrenner wie „Welches Fliegenschutzmittel“
bis zu weniger weltbewegenden Fragen wie „Wo gibt es Bandagen mit Kuhmuster?“
reichen täglich die Themen. Um die Zahl der Beiträge überschaubar
zu halten, rutschen alle „Boxen“, die eine Zeitlang inaktiv waren, automatisch
ins so genannte Archiv. Dieses ist inzwischen zu einer wahren Fundgrube an
Informationen angewachsen, die auch mehrere Redaktionen großer Pferdezeitschriften
zur Recherche nutzen. „Eine hat sogar mal wörtlich abgeschrieben,“ schmunzelt
Andrea, „mitsamt den Tippfehlern!“ Um im Archiv mit Schlagwortsuche stöbern
und die Beiträge einsehen zu können, muss man sich als so genanntes
„Vollmitglied“ registrieren lassen und einen jährlichen Beitrag entrichten,
der je nach Leistungsumfang zwischen elf und fünfundzwanzig Euro beträgt.
Kommerziell ist die Koppel dennoch nicht – die Mitgliedsbeiträge und
inzwischen auch einige Werbeeinnahmen finanzieren so gerade eben die Unkosten.
Auch die Pferde-Hotline entwickelte sich parallel zum Forum prächtig:
Mit ihrer Hilfe fanden inzwischen schon mehrere gestohlene Pferde den Weg
zurück zu ihren Besitzern. Der spektakulärste Fall war wohl der
eines im Fahrsport erfolgreichen Haflingergespannes, das nachts von der Weide
verschwunden war. Schon nach wenigen Tagen führte ein Tipp aus der Hotline
zum Erfolg: Beide Pferde wurden auf einem belgischen Pferdemarkt bei Brüssel
wiedergefunden, die Eisen bereits zum Schlachten abgerissen, die Schweife
abgeschnitten und die Mähnen rasiert. Rettung in letzter Minute! Der
Fall sorgte damals auch in der regionalen und überregionalen Presse
für Wirbel, sogar ein Fernsehteam von RTL rückte in der Folge auf
dem idyllischen Fachwerkhof der „Koppler“ ein. Auch ein gescheckter Isländer
wurde aufgrund eines auf der Euro-Cheval ausgehängten Hotline-Steckbriefes
identifiziert und ein Friese fand nach sieben Monaten des Suchens zurück
zu seiner Besitzerin – nur zwei von vielen Erfolgsmeldungen der Pferde-Hotline.
Heute gibt es gleich mehrere Anbieter, die Steckbriefe gestohlener Pferde
ins Internet stellen. „Einerseits ja schön, dass sich die Leute engagieren“
meint Rudi, „aber andererseits kontraproduktiv, da die einzelnen Stellen
sich untereinander nicht koordinieren, die Leute zum Teil sogar regelrecht
eifersüchtig ihre Daten der gestohlenen Pferde hüten und die Daten
nicht ausgetauscht werden. So geht viel wertvolle Information verloren.“
So bietet das Internet eben nicht nur Vorteile durch seine Schnelligkeit
und weite Verbreitung, sondern mit der Undurchschaubarkeit der täglich
größer werdenden und ungeordneten Informationsmenge auch Nachteile.
FREUD UND LEID
IM INTERNET
Ähnliches traf schon bald
auch auf das „Virtuelle Reiterstübchen“ zu. „Am Anfang war die Internet-Welt
noch in Ordnung,“ erinnert sich Rudi, „alle freuten sich über das neue
Medium wie Kinder über ein Spielzeug, alle waren nett zueinander und
niemand dachte sich etwas Böses.“ Leider änderte sich das auf der
Koppel schon bald genauso wie in allen anderen Bereichen des Internets auch
– immer häufiger traten nun auch weniger nette Menschen auf, die das
Forum für öffentliche Hetzkampagnen und Verleumdungen nutzten,
die Boxen mit ärgerlichem Nonsens-Geplapper oder – viel schlimmer –
Sudeleien und sexistischen Sprüchen vollstopften und den beiden Koppel-Initiatoren
beinahe den Spaß an der Sache verdarben. „Eine Zeitlang habe ich jeden
Tag mehrere Stunden damit verbracht, Müll und Beleidigungen aus dem
Forum zu löschen, „erinnert sich Andrea, „nur um mir anschließend
auch noch in zig E-Mails vorwerfen lassen zu müssen, wir würden
Zensur betreiben.“
Zur Bekämpfung des virtuellen Wildwuches gab es nur zwei Möglichkeiten
– abschalten oder die Schreiber ihrer Anonymität berauben, in der sie
sich unangreifbar fühlen. Andrea und Rudi entschieden sich für
letzteres. Heute kann auf der „Koppel“ nur derjenige schreiben, der seine
Identität den Betreibern zuvor mit Anschrift und nachprüfbarer
E-Mail Adresse (anonyme Mailadressen wie hotmail.com, gmx.de oder ähnliche
werden nicht akzeptiert) hinterlegt hat. Diese Daten werden natürlich
streng vertraulich gehandhabt und können nur auf richterlichen Beschluss
freigegeben werden, was bislang aber zum Glück noch nie vorgekommen
ist. Bis jetzt reichten immer Abmahnungen an die betreffenden Schreiberlinge,
zeigen sich diese uneinsichtig und halten sich nicht an die Benimmregeln,
werden sie für die weitere Benutzung gesperrt. Um nicht mehr alle Beiträge
selbst lesen zu müssen (was inzwischen rein unmöglich geworden
ist!) hat Rudi inzwischen auch ein automatisches Alarmsystem ausgetüftelt,
das alle Beiträge nach bestimmten Schlagwörtern absucht und sich
bei deren Vorkommen meldet. Endlos- Themen wie „Wo gibt es noch Reiter aus
dem Ruhrpott“ oder „Traber-Besitzer, wo seid ihr“ wurden aus dem Reiterstübchen
in ein neues Forum namens „Koppel-Stammtische“ verlegt. So halten sich
die Wartungsarbeiten heute halbwegs in Grenzen, auch wenn sie immer noch
ein gut Teil der Freizeit in Anspruch nehmen. Und warum das alles? Warum
durchstreifen Andrea und Rudi nicht lieber mit ihren Camarguepferden
„Farbello du Sambuc“ und „Duranse de Liberté“ die schöne Eifellandschaft,
anstatt sich vor dem Bildschirm zu ärgern? „Weil es immer wieder auch
Bestätigung und positive Rückmeldung gibt,“ berichtet Andrea. „Weil
immer wieder E-Mails an uns kommen, dass ein Pferd dank eines Tipps von der
Koppel wieder gesund geworden ist, dass jemand endlich den passenden Sattel
oder eine Urlaubsvertretung für den Pferdestall gefunden hat.“ Sogar
drei Ehen hat die Koppel schon gestiftet – die Schreiber lernten sich im
Forum kennen, konstatierten gleiche Wellenlängen, trafen sich und ...heirateten!
Fast wie im Kinofilm „E-Mail für dich“. Solche Nachrichten machen natürlich
jeden Ärger wieder wett...
AUS E-MAILS
WERDEN GESICHTER
Überhaupt „menschelt“ es auf
der Koppel ganz gewaltig. Unzählige Bekanntschaften und Freundschaften
sind inzwischen über sie geschlossen worden, regionale Stammtische haben
sich gebildet, Stallgemeinschaften und Reitbeteiligungen gefunden. Ein spontan
von aktiven Schreibern angeregtes Treffen auf der Equitana 1999 stieß
auf so positive Resonanz, dass Andrea und Rudi das ganz reale Kennenlernen
noch weiter fördern wollten und im Sommer ´99 zum großen
Koppel-Fest auf ihrem Hof mit dem klangvollen Namen „Beau Vallon“ einluden.
Dieser besaß als Wanderreitstation ohnehin die notwendige Infrastruktur
zur Beherbergung von Mensch und Tier. „Es waren wunderschöne Tage,“
erinnert sich Andrea, „für uns zwar mit einem riesigen Organisationsaufwand
verbunden, aber einfach toll. Alle hatten Spaß und es war unheimlich
spannend, die echten Menschen hinter den Internetbeiträgen kennenzulernen.“
So stellen sich beide auch die Zukunft das weitere Gedeihen ihrer Koppel
vor: Ein großer Treff- und Knotenpunkt der Pferdewelt, an dem Gedanken,
Meinungen und Informationen ausgetauscht werden, an dem gegenseitige Hilfsbereitschaft
spürbar wird und an dem man einfach Spaß hat. Und letzten Endes
bleiben das Wichtigste immer die Pferde, die vom per Koppel erweiterten Wissenshorizont
ihrer Besitzer profitieren. So haben Andrea und Rudi der Koppel ihr Motto
vorangestellt: „Gewidmet unseren vierbeinigen Freunden.“
Gisela Rau
PEGASUS 8/03